Lampoldshausen – Auf dem Prüfstand P5 des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) wird der Hauptstufenantrieb VULCAIN® 2.1 der ArianeGroup für den Einsatz in der Trägerrakete Ariane 6 getestet.
Bei Raketenmotoren, auch Triebwerke genannt, wird die Antriebskraft (Schub) durch Ausstoßen von Stützmasse erzeugt, welche entgegen der Antriebsrichtung erfolgt. Raketentriebwerke saugen keine Materie von außen an und stoßen diese auch nicht beschleunigt wieder aus. Aus diesem Grund funktionieren sie auch unabhängig von den Umgebungsbedingungen in einem Vakuum.
Wie in keinem anderen Bereich, wird in der Luft- und Raumfahrt hart an einer ständigen Verbesserung gearbeitet. Das DLR leistet hier durch seine Tests Pionierarbeit und beeinflusst maßgeblich viele zukunftsweisenden Technologien, welche die Menschheit irgendwann im täglichen Gebrauch hat. Dabei geht es nicht nur darum die Effizienz des Triebwerks deutlich zu steigern, sondern auch um effiziente Kostenreduzierung bei der Nutzung dieser Triebwerke.
Der VULCAIN®-Prüfstand P5 ist ein turmähnlicher Betonbau und ist mit 65 Metern das höchste Gebäude am DLR-Standort Lampoldshausen. Er ist einer der beiden größten Prüfstände für kryogene Raketenantriebe in Europa und wurde 1988-1990 im Rahmen des ESA-Ariane-5-Programms erbaut. Für die Tests des aktuellen Hauptstufenantriebs wurde die Anlage modernisiert. Die Leistung, welche durch einen solchen Prüfstand erbracht wird, ist enorm. Umgesetzt werden hier alle Bodenversuche an kompletten Antriebssystemen, unter simulierten Flugbedingungen bei vollem Schub, sowie bei Teil- und Überlast. Bei der Versuchsdauer gibt es Grenzen, in diesem Fall maximal 15 Minuten für ein Triebwerk mit 1.200 Kilonewton Schub. Dabei ermöglicht die strukturelle Schubgrenze Versuche mit Antriebssystemen bis zu 4.000 Kilonewton.
Am 22. Januar 2018 stellten die Ingenieure des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) das von der ArianeGroup entwickelte Triebwerk im Prüfstand P5 in Lampoldshausen erstmals erfolgreich auf die Probe. Insgesamt waren für die erste Testkampagne zwölf Versuche geplant. Das aktuelle Triebwerk VULCAIN® 2.1 – mit einem im 3D-Druck gefertigten Gasgenerator, einer neu konstruierten, vereinfachten Düse und der Zündung der Brennkammer mit einem Bodensystem – ist sowohl kostengünstiger als auch effizienter. Mit dem Hochleistungstriebwerk ist es möglich, mit der Ariane 6 in den ersten acht Flugminuten eine Höhe von 150 Kilometern sowie eine Geschwindigkeit von über 25.000 km/h zu erreichen. (Nur 10% der Triebwerksleistung wird gebraucht, um die Höhe zu erreichen – aber 90% für die Geschwindigkeit.)
Der P5 setzt sich aus einem ganzen Komplex zusammen, dabei sind mehrere Nebenanlagen mit der Testzelle verbunden. Flüssigkeiten werden über unterirdische Rohrleitungen von den Zwischen- zu den Fahrtanks geleitet. Dadurch ist es möglich, die Anlieferung von Brennstoff und Oxidator getrennt vom eigentlichen Prüfstand durchzuführen. Der eigentliche 200-Kubikmeter-Tank mit -183 Grad Celsius kaltem Flüssigsauerstoff (Oxidator) befindet sich im oberen Teil des Prüfstands. Neben dem Gebäude steht ein 600 Kubikmeter fassender Tank mit -253 Grad Celsius kaltem Flüssigwasserstoff. Beide Treibstofftanks sind aus Sicherheitsgründen durch zwei Meter dicke Trennmauern von der Testzelle abgetrennt. Wird ein Versuch gestartet, können die Seitenwände der Testzelle (Klapptore) und eine achteckige Bodenplatte geöffnet werden.
Der überschallschnelle Abgasstrahl des Triebwerks wird über ein Leitrohr und einen nachfolgenden Strahlumlenker auf Unterschall abgebremst und als riesige verdampfende Wolke ins Freie umgelenkt.
Alle Versuche werden in sicherer Entfernung über die Mess- und Steuerungsanlage (Steuerbunker M8) ferngesteuert. Kühlwasser und Prozessfluide werden ebenfalls aus Nebenanlagen zugeleitet, ohne diese Komponenten wäre eine Durchführung nicht möglich.
Die gesamte Anlage wird mit Sensoren überwacht, um Leckagen, Feuer und Drucküberschreitungen sofort zu registrieren und automatische Alarme und Warnungen auszulösen.
Alle Triebwerke müssen vor ihrem Erstflug den Abnahmetest erfolgreich bestehen, um dann wie geplant eingesetzt werden zu können. Bevor das Raketentriebwerk VULCAIN® 2.1 die Trägerrakete Ariane 6 ins All befördern darf, stehen also während der Entwicklungsphase des Triebwerks viele Tests am Prüfstand P5 in Lampoldshausen an.
Raketenhaupttriebwerk VULCAIN® 2.1 – Technische Daten
Höhe 3,6 m
Düsenaustrittsdurchmesser 2,10 m
Masse 2.100 kg
Treibstoffe Flüssiger Sauerstoff (LOX) und
Wasserstoff (LH2) im Verhältnis 6,03:1
Drehzahl der Turbopumpen 12.300 min−1 (LOX) resp.
36.500 min−1 (LH2)
Leistung der Turbopumpen 3,7 – 6,6 MW (LOX) resp.
9,9 – 20,4 MW (LH2)
Brennkammerdruck 118,8 bar
Vakuumschub 1.371 kN
Bodenschub 960 kN
Spezifischer Impuls 432 s
im Vakuum (Isp)
Hauptparameter Prüfstand
Triebwerk: VULCAIN® 2 (2.1)
Brennstoff: flüssiger Wasserstoff 600 m³
Oxidator: flüssiger Sauerstoff 200 m³
Testbedingung: Bodenversuche
Testdauer: 730 s für VULCAIN® 2.1
Schubaufnahme: 4.000 kN
Versuchsrate: 2 Versuche/Monat
Mess- und Steuerungsanlage
Standort Steuerungsbunker M8 (DLR Lampoldshausen)Funktionen Mess-, Steuerungs- und Regelungssystem (MCC)
Daten- und Ereigniserfassung und Speicherung
Überwachung kritischer Parameter und Ereignisse
Steuerung der Versuchsabläufe durch automatische Sequenzen
Regelung wichtiger dynamischer Versuchsparameter
Geregelte Abschaltung des Versuchs bei
Auftreten nicht akzeptabler Abweichungen
Auf den modernen Prüfständen müssen die Entwicklungstriebwerke beweisen, dass sie in der Lage sind eine enorme Schubkraft von 130 Tonnen, rund 3.000 Grad Celsius in ihren
Brennkammern, hohen Drehzahlen ihrer Turbopumpen und Drücken in ihren Treibstoffleitungen gewachsen sind. Die Testkampagne dauert insgesamt sieben Monate, währenddessen ein Versuch alle zwei Wochen durchgeführt wird.
Das Gefüge aus mechanischen und elektronischen Komponenten ist sensibel und die Kennzahlen sind unerlässlich, um die technischen Möglichkeiten voll ausschöpfen zu können. An den intensiven Tests am DLR-Institut für Raumfahrtantriebe arbeiten Ingenieure, Techniker und Prüfstandshandwerker mit. Sobald unter Einsatz eines hochgenauen Mess- und Analysesystems exakte Ergebnisse protokolliert werden konnten, werden diese von den Triebwerksentwicklern der ArianeGroup genutzt, um die technischen Einstellungen zukünftig
weiter zu verbessern.
Das finale Design des Hauptstufentriebwerks wird dann unter Berücksichtigung der Drücke, der Temperaturen in den Treibstoffleitungen, der Drehzahlen der Turbopumpen, der Drücke
im Gasgenerator und in der Brennkammer sowie der entstehenden Vibrationen entwickelt.
ArianeGroup
Trägerraketen
www.ariane.group
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.
Testzentrum Standort Lampoldshausen
Betreiber kryogener ESA-Prüfstand P5
www.dlr.de