Motoreninstandsetzung bedeutet im Regelfall Präzision im Hundertstel-Millimeter-Bereich. Hin und wieder kommen aber auch größere Kaliber auf den Tisch, wie beispielsweise dieser MWM D601-6 aus den 1960er Jahren. Aber gibt es wirklich Unterschiede in der Vorgehensweise, wenn allein ein einzelner Kolben mit Pleuelstange schon gefühlt das Gewicht eines kompletten kleinen PKW-Motors hat?
Grundlage einer Überholung ist der Schadensbefund zur Erstellung eines detaillierten und verlässlichen Kostenvoranschlags. Und hier stellt der MWM die Werkstatt direkt vor die erste Herausforderung. Mit einer Länge von rund 1,8 Metern, einer Breite von 85cm und einer Höhe von knapp einem Meter (die Abmessungen können je nach Ausführung und verwendeter Zusatzaggregate leicht variieren) lässt sich der Motor nicht so leicht in der Werkstatt bewegen. Spätestens sein Gewicht von 1,9 t bis 2,15 t hebt ihn von der Masse ab. Hinzu kommen noch Generator und Grundplatte mit rund 1,25 Tonnen. Spätestens damit wird klar, dass man an solch einem Motor nicht mehr ohne entsprechende Hebevorrichtungen, Spezialwerkzeuge und höchste Fachkenntnis weiterkommt.
In den Hallen der Firma Motoren Henze in Hannover ist man auf derartige Herausforderungen aber bestens vorbereitet. Der Motor wird direkt in die Vorwäsche gebracht und von dort aus mit der passenden Hebetechnik in die Demontage weitergeführt. Hier verschaffen sich die Mitarbeiter einen ersten Überblick, erstellen nach Sichtprüfung einen Plan zur weiteren Bearbeitung, und beginnen mit der Demontage der Bauteile.
Bereits ab hier kommt es auf die richtige Vorgehensweise an, denn ein Lok-Motor wie der MWM D601-6 besitzt besondere Anbauteile, denen entsprechende Beachtung geschenkt werden muss. Die Monteure sind hierauf bestens vorbereitet und demontieren und prüfen das Bauteil nach Herstellervorgaben entsprechend genau. Vorgaben, die sie alten Originalanleitungen in 60 Jahre alten Heften aus dem eigenen Archiv entnehmen.
Der MWM D601-6 wurde auch in anderen Bereichen wie Notstromaggregaten, weiteren Stationäranwendungen und sogar in U-Booten verbaut. Hier variieren die benötigten Sonderanbauteile natürlich entsprechend der jeweiligen Anwendungsbereiche. So wurden in den U-Booten anstatt eines Anlassers ein Druckluft-Verteiler verbaut, welcher die Zufuhr in die Zylinder regelte.
Nachdem die Zylinderköpfe des Motors zur Weitergabe an die Kollegen für die spätere Ventilsitzbearbeitung oder zum Planschleifen demontiert wurden – diese wären mit ca. 37 Kg für eine Person allein übrigens deutlich zu schwer, es gibt also schon im ersten Schritt spezielle Hilfen und Spezialplatten – gibt der MWM einen ersten Blick auf die Kolben und Zylinder preis. Die Mitarbeiter haben dank ihrer langjährigen Erfahrung, guten Kontakten zu Partnern und teilweise bereits Jahrzehnte alter Datensätze eine gute Kenntnis darüber, welcher Anblick sich hier bieten sollte. Welchen Zustand das Honbild aufweist, welcher Anzeigewert der Innenmessuhr noch im Toleranzbereich liegt. Bei diesem ersten Blick zeigt sich schon die nächste Besonderheit des MWM: Bereits vorhandene De- und Montagebohrungen in den Kolben! Was für einen Laien direkt wie ein Schaden ausschauen könnte, gehört hier wegen der Größen und des hohen Eigengewichts tatsächlich hin.
Damit die Kolben und Pleuelstangen zur weiteren Vermessung und Befundung herausgenommen werden können, werden spezielle Trägerplatten montiert. So kann mit Hilfe des Krans jeder Kolben nach und nach gefahrlos und sauber gezogen und zur Reinigung weitergegeben werden. „Eigentlich ist dies Alltagsarbeit für uns. Man muss nur die Vorrichtungen haben, um die Bauteile bewegen zu können“ verrät uns Rolf Sachweh.
Wir sind durchaus beeindruckt davon, wie selbstverständlich hier die einzelnen Bauteile bewegt und begutachtet werden. Die Handgriffe sitzen, jeder Mitarbeiter kennt seine Aufgabe und kann auf die notwendigen Daten zur Prüfung zurückgreifen. Ein Ölspiel, welches sich beim gestrigen PKW-Motor noch in einer maximalen Abweichung von hundertstel Millimetern befand, spielt sich bei diesem Großkaliber beinahe schon „entspannt“ im Bereich von über einem Zehntel ab. Ohne Zweifel sprechen wir dennoch weiterhin von großer Präzision, bedenkt man die schiere Größe und die wirkenden Kräfte, wenn sich Kolben und Pleuel mit gemeinsam ca. 18 Kg (pro Zylinder!) an einer über 300 Kg schweren Kurbelwelle bewegen.
Es dauert letztlich einige Arbeitstage, bis ein solcher Motor komplett zerlegt und vor gereinigt ist, damit alle Teile genauestens geprüft und vermessen werden können. Eine Arbeit, die jedes Mal aufs Neue spannend und gleichzeitig enorm wichtig für eine lange Lebensdauer des Motors ist. „Klar ist es eine Herausforderung, wenn man zum Beispiel eine der Pleuelstangen auf den Zehntelmillimeter vermessen und ggf. neu richten und winkeln soll, dieses Werkstück aber eben mit dem Kran bewegt und an die dafür notwendige Maschine gebracht werden muss.“
Eine „normale“ PKW-Kurbelwelle kann ohne große Schwierigkeiten in die Lagerschleifmaschine gelegt, vermessen und direkt bearbeitet werden. Auch hier spielt der MWM ohne Hebevorrichtung nicht mit. Etliche Kilogramm kämpfen an jeder Stelle in der Werkstatt bei Ihrer Prüfung gegen Monteur und Maschine, um am Ende in Maßtabellen weit unter einem Millimeter hoffentlich ihr OK zu erhalten.
Die Fachkompetenz jeder einzelnen Abteilung sorgt akribisch für einen reibungslosen Durchlauf und ermöglicht so trotz der enormen Größen und Gewichte der einzelnen Bauteile am Ende eine fachgerechte Prüfung nach höchsten Standards. So ist der Weg geebnet, um alles fachgerecht zu überholen und am Ende wieder komplett zu einem neuwertigen, langlebigen Motor montieren zu können. Ein beeindruckender Umfang, welcher dank stetiger Schulungen für das Team von Motoren Henze in Hannover ein „Alltag mit ein klein wenig Besonderheit“ ist.
In den letzten Jahren wurden mehrere baugleiche Motoren der MWM D601-6 Reihe instandgesetzt. Immer wieder ein Highlight neben Motoren in Standardgrößen.