Mit ihren 11 Metern, der stahlblauen Farbe und der spitzen Form wirkt die „Blue Flame“ eher wie eine Rakete die senkrecht in den Himmel steigt. Wären da nicht diese drei Räder, die darauf schließen lassen, dass die „Blue Flame“ horizontal unterwegs ist. Die „Blue Flame“ ist das erste Fahrzeug, welches 1970 die 1.000 km/h Grenze überschritt und damit einen unglaublichen Weltrekord aufstellte.
Eigentlich sollte die ganze Aktion ein PR-Coup der Erdgas-Industrie sein. Die American Gas Association wollte der Weltbevölkerung zeigen, dass es auch einen alternativen Treibstoff zu Erdöl gibt. Sie beauftragten die kleine Spezialfirma Reaction Dynamics mit dem Bau eines Fahrzeuges, welches mit Gas statt Kerosin beschleunigt.
Mitte Oktober 1970 und nach drei Jahren Tüftelei war es dann startklar. Am Bonneville-Salzsee in Utah (USA) stand ein 58.000 PS-starkes, drei Tonnen schweres und raketenförmiges Etwas bereit, angetrieben von einer höchst explosiven Mischung aus Wasserstoffperoxid und flüssigem Erdgas. Die Kreuzung aus Auto und Rakete hatte nur einen Zweck: den Landgeschwindigkeitsrekord von 966 km/h zu knacken.
Im Vorfeld stellte sich die Frage wer dieses Ungetüm bezwingen kann und die Rakete in den Weltrekord steuert. Die erste Wahl fiel damals auf den Fahrer Chuck Suba, der bereits einen Vertrag unterschrieben hatte, aber bei einem Dragster-Rennen tragisch ums Leben kam. Das Auswahlverfahren gestaltete sich schwierig, da den Auftraggebern viel daran lag eine Persönlichkeit zu gewinnen welche nicht nur auf der Rennstrecke große Erfolge erzielt, sondern auch abseits der Strecke professionelle Interviews führen kann und als Mr. Gas America in die Geschichte eingehen sollte. Viele Fahrer vielen dabei durchs Raster und nur einer blieb übrig: Don Garlits. Don Garlits wird bis heute als Vater der amerikanischen Dragster-Rennen verehrt.
Der Deal war perfekt. Doch dann, kurz vor einer lang angekündigten Pressekonferenz, sprang er völlig überraschend ab, angeblich wegen Konflikten mit seinen Sponsoren. Durch Zufall wurde man auf Gary Gabelich aufmerksam. Gabelich fuhr bereits als Jugendlicher Dragster-Rennen und steuerte bereits mit 19 Jahren einen Raketenwagen auf 572 km/h. Neben seinen Talenten als Fahrer brachte er auch weitere perfekte Voraussetzungen mit. Er arbeitete beim US-Flugzeughersteller North American Rockwell, welcher die Technik für das Apollo Weltraumprogram der NASA entwickelte. Neben den Voraussetzungen eines exzellenten Fahrers überzeugte er die Sponsoren mit seinem Charme für die geplanten PR-Kampanien. Er konnte gut mit der Presse reden und als ehemaliger Kandidat der TV-Show „The Dating Game“ erhoffte man sich auch eine gewisse Aufmerksamkeit bei den Damen.
Wichtige Daten
Fahrer: Gary Gabelich, Long Beach, Kalifornien
Sponsor: Natural Gas Industry und Southern California Gas Company
Antrieb: Hybride Raketentriebwerk
Max. Schub: 58.000 PS
Treibstoff: flüssiges Erdgas und Wasserstoffperoxid
Länge: 11,64 m
Breite: 2,33 m
Höhe: 2,64 m
Gewicht: 2.944,5 kg
Radstand: 7,77 m
Lenkradius: ca. 402,3 m
Reifen: Goodyear mit 350 psi komprimierter Trockenluft
Beschleunigung: von 0 auf 660 Meilen pro Stunde in 22 Sekunden
Kosten: über 650.000 US-Dollar
Am 23. Oktober 1970 zwängte sich Gabelich in sein winziges Cockpit und durchbrach nach nur 22 Sekunden die Bestmarke mit 1001,474 km/h. Um die damaligen Regularien zu erfüllen, musste Gabelich das Vehikel innerhalb einer Stunde, die gefahrene Meile wieder zurückfahren. Daraus berechnete man dann die Durchschnittsgeschwindigkeit. Bei der zweiten Fahrt zeigten die Messinstrumente sagenhafte 1001,667 km/h an. Der Name „Blue Flame“ war Programm: Die Rückstoßflamme des Raketenfahrzeuges leuchtet strahlend Blau.
13 Jahre behielt die „Blue Flame“ den Rekord des schnellsten Landfahrzeuges der Welt. 1983 wurde Gabelich von dem Engländer Richard Noble vom Thron gestoßen, der den mit seinem Fahrzeug der „Thrust 2“ die Höchstgeschwindigkeit von 1019,44 km/h erreichte.
Den aktuellen Geschwindigkeitsrekord für Landfahrzeuge stellte der Brite Andy Green im Oktober 1997 auf. Mit 1.227,985 km/h durchbrach er sogar die Schallmauer.
Heute ruht die „Blue Flame“ im Technik Museum Sinsheim und versetzt die Besucher jedes Mal in Staunen – umringt von klassischen Oldtimern, Formel-1-Legenden und Hubschraubern sticht das stahlblaue und aluminiumverkleidete Highlight heraus. Seit 2018 ist das Museum mit dem Umbau seiner riesigen Halle beschäftigt. Rechtzeitig zum 50jährigen Jubiläum der „Blue Flame“ ist auch dieser Ausstellungsbereich fertig. Vor dem ikonischen Bild von Gary Gabelich aufgebaut, erzählt die aufwendige Bild- und Filminstallation die spannende und doch kurzweilige Geschichte des schnellsten raketenbetriebenen Landfahrzeugs aller Zeiten. Die Original Jacke des Rekordpiloten sowie originales Salz vom Bonneville-Salzsee ergänzen den neuen Ausstellungsbereich. Um diesen zu vervollständigen, wird seit dem 23. Oktober ein Interview mit einem der Ingenieure der „Blue Flame“, Dick Keller, ausgestrahlt. Eigentlich plante das Museum eine angemessene Feierlichkeit, um sein Exponat zu würdigen. Aus gegebenem Anlass wurde Herr Keller via Skype interviewt.