Seit 2013 ist Prof. Dr. sc. techn. Thomas Koch Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und verantwortlich für die verbrennungsmotorischen Belange in den Bereichen Forschung, Lehre und Innovation.
Das Verwaltungsgericht Schleswig hat in dieser Woche ein Urteil zum so genannten Thermofensters bei älteren Dieselfahrzeugen gesprochen: Eine temperaturabhängige Erhöhung der motorischen Stickoxidemissionen bei tiefen Außentemperaturen sei nicht akzeptabel. Seitdem herrscht Verunsicherung. Denn während sich das Urteil auf einen konkreten VW-Motor bezieht, sind nach Angaben des Vereins Deutsche Umwelthilfe 118 weitere Verfahren anhängig. Motorenexperte Prof. Thomas Koch kritisiert das Urteil scharf. Unser Autor Jens Meiners sprach mit ihm.
Professor Koch, waren Sie in den Prozess eingebunden?
„An dem Prozess war ich nicht beteiligt. Meine Verbindung zu der seit ein paar Jahren diskutierten Thematik des so genannten Thermofensters ist vor allem das Mitwirken an einer wissenschaftlichen Analyse, welche in 2020 auf Basis intensiver Forschungsarbeiten zusammen mit Kollegen der Universitäten Darmstadt und Magdeburg ausgearbeitet wurde.
Über was hat das Verwaltungsgericht in Schleswig konkret geurteilt?
„Konkret ging es bei der Klage vor dem VG Schleswig um die Frage, ob das Kraftfahrt-Bundesamt bei einer aus meiner Sicht begrüßenswerten Neubedatung, das heißt dem so genannten Softwareupdate von älteren Volkswagen-Dieselmodellen, prinzipiell ein Thermofenster bei kälteren Außentemperaturen zulassen durfte.“
Wozu braucht man diese Thermofenster überhaupt?
„Bei ca. 10 Grad Außentemperatur kommt das so genannte Abgasrückführsystem von alten Dieselmodellen an eine Grenze. Dies war damals der Stand der Technik. Die Abgasrückführung ist eine wichtige Emissionsreduktionstechnologie, die weit mehr als 70 Prozent der Stickoxide reduziert, übrigens bis heute. Das zuständige Abgasrückführventil muss aber bei niedrigeren Temperaturen zunehmend geschlossen werden, weil es sonst zu gefährlichen Schäden kommen kann. Die Stickoxidemissionen steigen aber dadurch. Das KBA hat dieses Verhalten aus technischer Sicht als zulassungsfähig eingestuft. Dagegen wurde nun geklagt.“
Wie ist das Urteil des Gerichts ausgefallen und wie ist es zu deuten?
„Eine schriftliche Ausarbeitung liegt noch nicht vor, weshalb eine Antwort nur mit Vorbehalt möglich ist. …* Es hat damit eine schwer nachvollziehbare Entscheidung gefällt, indem es den angeblichen Umweltschutz vor das wichtige Gut der Fahrzeugsicherheit und des Verbraucherschutzes, konkret die Abwendung unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben, gestellt hat. Es reichen ja bei Gefahren für die Sicherheit des Fahrzeugbetriebs, die in einem Auto dann immer auch Gefahren für Leib und Leben sein können, schon geringe Wahrscheinlichkeiten und auch seltene Fälle aus, so dass wir eine bestimmte Funktion in der Praxis unter Umständen ausschließen müssen.“
Und das hat keinen Vorrang mehr?
„Nun ist es umgekehrt. Das Gericht ordnet mit seiner Entscheidung de facto an, dass die Behörde ein solches Risiko zu tolerieren hat. Das stellt die Dinge wirklich auf den Kopf. Normalerweise ist es die Aufgabe der Behörde und auch von uns Technikern, solche Risiken zu vermeiden.“
Können Sie die Problematik technisch beschreiben?
„Bei niedrigen Temperaturen kommt es zu Belagbildungen bis hin zu funktionsgefährdenden Verlackungen der Oberflächen von abgasführenden Bauteilen. Um das zu vermeiden, wurde vor allem beim Euro-5-Technologiestand das Abgasrückführventil bei niedrigen Temperaturen geschlossen. Die Konsequenz waren erhöhte NOx-Emissionen, aber auch deutlich reduzierte Belagsbildungsprozesse und ein Vermeiden des Verklebens oder gar Blockierens des Abgasrückführventils und wichtiger Bauteile. Genauso wichtig ist zudem die enge Kopplung des Verbrennungsmotors mit der Abgasnachbehandlung und hier insbesondere mit dem Partikelfilter. …* “
Warum finden Sie das Urteil so besorgniserregend?
„Komplizierte technische Gesamtsysteme sind in der Summe ihrer Eigenschaften immer ein Abwägungsprodukt aus verschiedenen Kriterien wie Umweltschutz, Verbraucherschutz, Sicherheit, Wirtschaftlichkeit, Benutzerfreundlichkeit, Reparaturfähigkeit und weiteren Produkteigenschaften. Bis zum Urteil des VG Schleswig war aus diesen Kriterien eigentlich immer ein guter, ganzheitlicher Kompromiss zu finden, wobei Schutz von Leib und Leben immer höchsten Stellenwert hatte. Das haben alle Fahrzeuggenehmigungsbehörden in ihrer Praxis auch immer beachtet. Doch obwohl der Gesetzgeber ausdrücklich und klar fordert, dass die Sicherheit des Fahrzeugbetriebes zu gewährleisten ist, hat dieses Kriterium nun für das VG Schleswig keine relevante Bedeutung gehabt. …* Es gibt kein Winter-NO2-Problem, wie auch insgesamt die NO2-Stadtluftkonzentration mit Ausnahme einer einzigen von Hunderten von Messstellen in ganz Deutschland überwiegend sehr deutlich unterhalb des Grenzwerts liegt.“
Sehen Sie weitere Risiken durch das Urteil?
„Ich frage nach der Logik und warne vor den Konsequenzen, wenn die technisch-physikalischen Grundlagen außer Acht gelassen werden. …* “
Die Deutsche Umwelthilfe als Kläger betont, dass Thermofenster, also eine Temperaturabhängigkeit der Emissionsregelung, generell nicht tragbar seien, richtig?
„Die DUH fordert seit Jahren die Katalysatornachrüstung alter Fahrzeuge, obgleich viele fachkundige Institutionen davor warnen. Der politisch erzeugte Druck mündete in dem Flop der Verpflichtung zum Angebot einer Nachrüstung, was zu mehreren insolventen Firmen, Kunden ohne Kulanzansprüchen und fahrzeugabhängig trotzdem unbefriedigender Funktionalität in der Kälte führte. Insbesondere hat die DUH selber aufgezeigt, dass die Lösung der Nachrüstung bei tiefen Temperaturen große Schwächen aufzeigt und nicht mehr umfassend funktioniert, da es ausgedehnte Thermofenster auch bei dieser Lösung gibt! Warum trotzdem gegen Thermofenster geklagt wird, ist ein Widerspruch in sich.“
Wäre es nicht die Aufgabe des Gesetzgebers gewesen, das Thema Thermofenster von Anfang an zu klären?
„Der Gesetzgeber hat seit über 15 Jahren explizit bei niedrigen Temperaturen höhere Emissionen gestattet. So hat er beispielsweise bei Ottomotoren in der Euro-5-Euro-6-Regulation 215/2007 ganz gezielt bei minus sieben Grad über zehnfach höhere Emissionen gestattet. Und bei Dieselmotoren hat der Gesetzgeber diesen Test gar nicht vorgeschrieben und damals bewusst keine Emissionsanforderungen und -grenzwerte in der Kälte vorgegeben. Ihm war klar, dass die NOx-Emissionen bei Dieselfahrzeugen bei niedrigen Temperaturen höher sind. Er kannte auch die Notwendigkeit eines Thermofensters und hat entschieden, dass bei einem Konflikt zwischen Fahrzeugsicherheit beziehungsweise Schutz des Motors und Emissionen ersteres Vorrang hat. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass es damals eine ganz bewusste Entscheidung des Gesetzgebers für den Diesel gab. Auch deshalb, weil der CO2-Ausstoß und damit der Kraftstoffverbrauch bei Dieselfahrzeugen um ca. 20 Prozent niedriger ist als bei Benziner-Fahrzeugen. Die exzellente aktuelle Norm Euro-6d-final gestattet übrigens auf einem vernachlässigbaren Niveau und ebenfalls bei minus sieben Grad erhöhte Emissionen. Thermofenster waren und sind also bis heute vorhanden, weshalb ich das Urteil erst recht nicht nachvollziehen kann.“
Gibt es eigentlich eine geschäftliche Verbindung Ihrerseits zum Volkswagen-Konzern?
„Unser Institut und ich führen seit vielen Jahren keinerlei Aufträge, Forschungsarbeiten, Dienstleistungen oder Ähnliches für Volkswagen oder VW-Konzerntöchter durch. Mich treibt das Bestreben, bestmögliche umweltfreundliche und zugleich sichere Produkte im Umfeld einer guten Gesetzgebung zum Wohle der Kunden zu entwickeln. Dabei darf man nicht die Produktsicherheit und den Schutz des Verbrauchers aus dem Auge verlieren. Gesetzgeber, Automobilindustrie und nun die Judikative haben hier leider immer wieder Anlass zur Kritik geboten.“//
*Interview gekürzt, das komplette Interview lesen Sie über den QR-Code.